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Schädliches Multitasking aufdecken mit dem PPM-Spaghetti-Diagramm

Im Rahmen der Entwicklung von Lean-Agile PPM (Projektportfoliomanagement), die wir im PPM Labor am Fachbereich Wirtschaftsingenieurwesen der TH Mittelhessen betreiben, stellen wir uns die Frage, welche Art von Verschwendung im PPM zu beobachten gibt und welche Praktiken – nicht zuletzt auch bekannte aus dem Lean Management – dazu beitragen können, diese zu vermindern:

Abbildung: Zielsetzung
Abbildung: Zielsetzung

Eine zu identifizierende Art der Verschwendung ist das Task bzw. Project Switching [1], dessen Auswirkungen als „schädliches Multitasking“ untersucht sind [2]. Darunter verstehen wir das parallele Bearbeiten mehrerer Aufgaben „gleichzeitig“, d.h. ohne die jeweilige Aufgabe zu beenden, bevor die nächste begonnen wird. So disponieren viele Organisationen einzelne Teammitglieder oder Projektleitungen auf mehrere Projekte gleichzeitig – aus eigener Erfahrung können dies durchaus zehn (!) Projekte gleichzeitig sein. Neben anderen Ineffizienzen [4] sind umfangreiche Rüstzeiten in Form von Einarbeitungszeiten immer die Konsequenz – im Sinne des Lean Managements als nicht wertschöpfend zu klassifizieren und damit zu vermeiden.

Im klassischen Lean Management wird man diese Art der Verschwendung als „Unnötige Bewegung“ wiederfinden. Im PPM wird der Begriff Bewegung nicht mehr als physische, sondern als geistige Bewegung definiert. Durch diese Neuinterpretationen ist die Idee und Möglichkeit entstanden, die Lean-Methode des Spaghetti-Diagramms in den Kontext des PPM zu transferieren.

Übertragung des Spaghetti-Diagramms auf das PPM

Bei dem klassischen Spaghetti Diagramm werden Transporte beziehungsweise Bewegungen zwischen Arbeitsstationen analysiert [3]. Da es im Projektportfoliomanagement weniger um physische Ströme geht als in der Produktion, werden die Betrachtungsgegenstände des modifizierten Spaghetti-Diagramms neu definiert. Weg von den physischen Bewegungen werden nun die geistigen Bewegungen beobachtet. Als Arbeitsstationen werden die einzelnen Projekte eines Projektportfolios festgelegt. Ziel des PPM-Spaghetti-Diagramms ist es somit die gedanklichen Bewegungen eines Teammitglieds zwischen den Projekten zu erfassen. Die Arbeitsschritte können grundsätzlich unverändert bleiben.

Durch das parallele Bearbeiten von mehreren Projekten durch eine Person entsteht Verschwendung. Diese Verschwendung liegt in Form von Rüstzeiten vor, wenn die Person von einem Projekt zum nächsten springt und sich erneut in jenes hineindenken muss. Diese Gedankensprünge werden in der folgenden Abbildung aufgezeigt.

Abbildung: Mögliches Ergebnis des PPM Spaghetti-Diagramms
Abbildung: Mögliches Ergebnis des PPM Spaghetti-Diagramms

Durch die Visualisierung der Wechsel können die Verschwendungen analog zum klassischen Spaghetti-Diagramm ermittelt werden. Eine Bearbeitung mehrerer Projekte ohne die genannte Verschwendungsart ist anzustreben und würde im PPM-Spaghetti-Diagramm wie folgt aussehen.

bbildung: Theoretisches Optimum mit dem PPM-Spaghetti-Diagramm
bbildung: Theoretisches Optimum mit dem PPM-Spaghetti-Diagramm

Das Team würde in diesem Fall ein Projekt nach dem anderen abarbeiten, ohne zwischen diesen zu wechseln. Somit sind Rüst- bzw. Einarbeitungszeiten minimal.

Entwicklung eines Tools

In Folgenden wird gezeigt, wie die vorrangegangenen Überlegungen in einem Unternehmen umgesetzt werden können. Hierzu liegt es nahe, sich der im Rahmen der Zeiterfassung vielfach in Unternehmen vorhandenen Timesheets zu bedienen. Neben der reinen Zeiterfassung kann es auch dazu genutzt werden den aktuellen Aufwand eines Projekts zu ermitteln.

Es gilt jetzt festzulegen, welche Informationen ein Timesheet enthalten muss, um ein PPM-Spaghetti-Diagramm zu erstellen. 

Die folgende Abbildung zeigt das Timesheet, das im nachfolgenden Beispiel genutzt wurde.

Abbildung: Beispiel eines Timesheets
Abbildung: Beispiel eines Timesheets

Um das Timesheet zuordnen zu können, muss zudem der Name der Person enthalten sein. Das Timesheet erstreckt sich im Beispiel über den Zeitraum einer Woche. Im Kern des Timesheet sind drei Spalten unumgänglich: Datum, Projekt, Zeit. Anhand dieser drei Daten kann bestimmt werden, wie lange an welchen Tagen an welchem Projekt gearbeitet wurde. Doch in dieser Darstellungsform illustriert das Timesheet nicht die Problematik der vielen Wechsel zwischen den Projekten. Demnach müssen die Daten aus dem Timesheet in einer zusätz­lichen Darstellungsform ausgewertet werden – etwa wie prototypisch mit einfachen MS Excel-Techniken realisiert:

Abbildung: PPM Spaghetti-Diagramm von Timesheet abgeleitet
Abbildung: PPM Spaghetti-Diagramm von Timesheet abgeleitet

Die Zwischenräume, in denen die blaue Linie verläuft, sind die Projekte 1 − 5. Die blaue Linie zeigt somit, welches Projekt zu welchem Zeitpunkt ti aktiv bearbeitet wurde. Die X-Achse zeigt den Zeitraum, in dem die Projekte bearbeitet wurden. Anhand der Abbildung ist zu erkennen, dass das Teammitglied während der Woche (als beispielhafter Betrachtungszeitraum), teilweise auch innerhalb eines Tages, mehr­fach das Projekt wechselt. Dieses Wechseln ist nach der Theorie ungünstig, denn dadurch entstehen Rüstzeiten, also Zeit, in der das Teammitglied nicht produktiv ist. Bei einer idealen Bearbeitung nach der Theorie sollte ein PPM Spaghetti-Diagramm – bei gleichem Aufwand pro Projekt − folgendermaßen aussehen.

Abbildung: Optimales PPM Spaghetti-Diagramm
Abbildung: Optimales PPM Spaghetti-Diagramm

Dieses PPM Spaghetti-Diagramm unterstellt, dass die Bearbeitung von Projekt 1 vor Ablauf der ersten Periode (hier beispielhaft ein Arbeitstag à 8 Stunden) nicht abgeschlossen ist. Sollte ein Projekt abgeschlossen werden, so dürfte die Linie innerhalb der Periode „springen“. Dann muss sie so lange gerade verlaufen, bis das Projekt abgeschlossen ist. Die Theorie ist an dieser Stelle dieselbe, nur werden die Projekte als eigene Lanes dargestellt und über eine Zeitachse betrachtet verbunden. In der Praxis ist eine gerade Linie in dieser Form eher unrealistisch. Trotzdem sollte im Portfolio-/Programmmanagement aufmerksam beobachten, wie die Teammitglieder zwischen ihren Projekten springen und bei zu häufigen Wechseln einschreiten und das Teammitglied idealerweise umdisponieren. So können Rüst- bzw. Einarbeitungszeiten vermieden und die Effizienz gesteigert werden.

Fazit

Im vorliegenden Beitrag wurde die Methode Spaghetti-Diagramm ausgewählt, um die Verschwendungsart unnötige (geistige) Bewegung zu adressieren. Dabei sind Möglichkeiten der praktischen Umsetzung aufgezeigt worden.

Mit der Adaption des Spaghetti-Diagramms wird gezeigt, dass die Methoden aus dem Lean Management im PPM sinnvoll genutzt werden können. Dafür müssen zunächst die Arten der Verschwendung identifiziert und geeignete Methoden für deren Beseitigung ausgewählt werden. In der Regel können die Methoden nicht eins zu eins aus dem Produktionskontext genutzt, sondern müssen an die Gegebenheiten im PPM angepasst werden. Dabei sollte die ursprüngliche Intention der Methoden beibehalten werden. Gleichzeitig erfordert die erfolgreiche Umsetzung von Methoden aus dem Lean Management eine Übernahme der Grundprinzipien und Denkansätzen des Lean Managements von allen Beschäftigten im Unternehmen.

 

Lust auf mehr? Dieser Blogbeitrag ist der Auftakt zu Veröffentlichung weiterer Ergebnisse der konzeptionellen Arbeiten zum Lean-Agile PPM. An dieser Stelle vielen Dank an die Studierendengruppe Thomas Glagla, Florian Wassberg, Johannes Schwarz und Leon Siegl, auf deren Studienarbeit im Sommersemester 2022 dieser Beitrag fußt.

Quellen:

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