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Das Kreuz mit der Komplexität

von Claus Hüsselmann

Probleme in Projekten werden derzeit und in der jüngeren Vergangenheit häufig auf deren Komplexität zurückgeführt. Davon zeugt auch die Klassifizierung der heutigen Zeit als VUKA-Welt. Hierbei steht das „K“ für Komplexität. Die inflationäre Verwendung des Begriffs führt zu der Notwendigkeit, den Begriff systematisch zu betrachten. Was bedeutet eigentlich Komplexität, insbesondere im Hinblick auf das Projektmanagement?

Die Literatur bietet auf diese Frage keine zufriedenstellende, eindeutige Antwort. Die umgangssprachliche Verwendung des Begriffs führt zudem zu vielfältigen Interpretations- und Variationsmöglichkeiten. Jeder hat ein intuitives und vielmals individuelles Verständnis des Begriffs. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass komplexe Probleme in jedem Fall schwierig zu lösen sind. Dies spiegelt sich auch im Projektmanagement wider. Die nicht zufriedenstellende Erfolgsquote von Projekten führt zusammen mit der wachsenden Bedeutung der Projektwirtschaft dazu, dass Theoretiker und Praktiker nach neuen Wegen suchen. Vielfach wird dabei agiles Vorgehen als mögliche Lösung identifiziert. Doch lässt sich dieser Ansatz wirklich halten?

Im Rahmen der Begriffsfestlegung müssen wir zuerst zwischen den Begriffen Komplexität und Kompliziertheit unterscheiden. Diese Unterscheidung lässt sich anhand eines Beispiels verdeutlichen: 

Der Zusammenbau eines in seine Einzelteile zerlegten Autos umfasst viele, miteinander verbundene Elemente. Für einen Laien erscheint dies als eine komplexe Aufgabe. Im Unterschied dazu ist dies jedoch für den Experten nur eine komplizierte Aufgabe, die gut lösbar wird, sobald die Aufgabe strukturiert angegangen wird. Im Gegensatz dazu bleibt die Entwicklung eines neuen Fahrzeugs auch für den Experten eine komplexe Aufgabe, da Designentscheidungen Auswirkungen auf andere Entscheidungen haben und somit Rückkopplungen im System auslösen können.


Aus der Literatur zu dieser Thematik lässt sich ableiten, dass ein System kompliziert ist, auf welches folgende Punkte zutreffen:

·         es besteht aus vielen Elementen und

·         die Elemente sind vernetzt.

Wenn ein kompliziertes System darüber hinaus die folgenden Merkmale aufweist, so ist es als komplex zu bezeichnen:

·         die Elemente haben Wechselwirkungen,

·         es gibt eine strukturelle oder inhaltliche Dynamik und

·         hieraus entsteht Emergenz.

 

Im Projektmanagement ist dies in der Regel bei großen Projekten beziehungsweise Projektlandschaften der Fall. Als Visualisierung der Strukturierung lässt sich ein „Kreuz der Komplexität“ nutzen.

Dieses bildet sich aus der entsprechenden Stabilität des Systems, inwiefern dieses bekannt und sicher oder unsicher und veränderbar ist. Dem gegenüber steht die Dimension des Systems ausgedrückt durch die Anzahl der verknüpften Elemente.

Die Einordnung eines Projekts in die konstruierten Quadranten liefert seine Komplexitätscharakteristik, die stets durch eine Kombination zweier Werte beschrieben wird. Projekte, sind so komplex, wie sie aufgrund ihres fachlich-inhaltlichen Fokus (Scope) oder sozioökonomischen Kontexts (Organisation, Umfeld) sind. Es geht also darum, adäquate Mittel der Handhabung von Komplexität zu finden. Dazu lassen sich u.a. folgende Normstrategien finden:

·         Bildung vernetzter Subsysteme

·         Regelbasiertes Arbeiten

·         Probiere – Erkenne – Reagiere

·         Rekursion, Iteration

·         Blackbox-Akzeptanz

 

Generell ist von der Prämisse auszugehen, dass eine einfache Konstellation aufgrund des geringeren Umsetzungsrisikos zu bevorzugen und daher anzustreben ist. Aber um es mit Albert Einstein zu sagen: „Everything should be made as simple as possible, but not simpler.“

Aus den beiden gefundenen Komponenten der Komplexität leitet sich im Wesentlichen ein Dilemma hinsichtlich der Handhabung ab: Agile Vorgehensweisen (Inspect & Adapt, Selbstorganisation, …) sind für komplizierte Systeme nicht gut geeignet, plangetriebene Ansätze für instabile Systeme. Die Kombination der Merkmale der Kompliziertheit und der Dynamik führen somit zwangsläufig in eine Zwickmühle. Entgegen der vielfach festzustellenden Bemühungen, Projekte größer und somit im Unternehmen vermeintlich wichtiger zu machen, lässt sich diesem Dilemma mit einem Down-Sizing im Rahmen der Projektgestaltung begegnen. Projekte sollten also so klein und kurz wie möglich gehalten werden.

Wenn Sie mehr zu den Überlegungen zum Kreuz mit der Komplexität wissen möchten, steht ein ausführlicherer Aufsatz zu dem Thema als Vorabauszug des in 2021 erscheinenden Buchs zum Lean Project Management (Schäffer-Poeschel Verlag) zur Verfügung.

 

 

Dank an Paul Golfels vom PPM Labor der THM für die redaktionelle Mitwirkung an diesem Blogbeitrag.

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Kommentare: 2
  • #1

    Klaus Schenck (Freitag, 13 November 2020 09:41)

    Guten Tag,
    Danke für die Möglichkeit, das Vorab-Kapitel online zu lesen!
    Eine Hinweis möchte ich beisteuern: Das "Cynefin"-Framework von David Snowden lohnt sich nicht nur richtig zu schreiben, sondern auch richtig zu lesen, also vorzugsweise im Original (HBR 2007) und auch die Original-Erläuterungen von Snowden selbst anzuhören (z.B. hier: https://www.youtube.com/watch?v=y6RfqmTZejU).
    LG, Klaus Schenck

  • #2

    Claus Hüsselmann (Freitag, 27 November 2020 16:09)

    Hallo Herr Schenck,
    danke für die Hinweise. Die Empfehlung des Videos kann ich nur unterstreichen.
    Viele Grüße
    Claus Hüsselmann